Donnerstag, 11. November 2010

Der Wille

Allein schon, weil wir selbst für unsere privaten Entscheidungen nicht verurteilt werden wollen, fordern wir: Jeder mag für sich selbst wählen. Und doch - wir hoffen, bitten inständig dass das, zu dem sich unsere Mitmenschen entscheiden, das Gute sein möge. Was ist das Gute? Das Gute ist das Angemessene. Das Gute sorgt für Verbesserung, es ist das stete Bemühen, Glück für sich und andere zu erreichen. Bemühen, und darum - kann man es nicht lernen. Etwas, um das ich mich Mühen muss, ist nicht einfach durch fragloses anwenden eherner Regeln zu erreichen, Nein, das wäre keine Mühe, das wäre Konsequenz und Sturheit. Das Gute ist in uns, weswegen es niemandem Mühe bereitet. Doch es freizulegen und in die Welt zu bringen, das ist eine Herausforderung. Man kann das Gute in kein Kind durch christliche Kindergärten einflößen. Es hat keinen Wert, einem vom Schicksal geprüften die Hand zu reichen und selbst Gemütlichkeitseinbußen dafür in Kauf zu nehmen, anderen den Weg zur Edelmut zu weisen - wenn man sich nicht selbst, ureigenst, dazu entschieden hat. Das ist der Kern des Lebens, Kurt Tucholsky sagt: Leben heißt aussuchen. Nur wenn ich mich frei dazu entscheide, der Sanftmut den Vorzug zu geben, wird die Sanftmut zur ehrbaren Tugend. Was ist schon Moral? Moral hat keinen Wert, Moral kann man nicht lehren. Die ethische Entscheidung ist in uns. Wir müssen sie nur finden, und dazu müssen wir sie wollen. Der Wille allein führt auf den Pfad des Guten.

Dienstag, 14. September 2010

Keine Kinder in die Welt setzen

Ah, ein Aufschrei! Was, schon wieder eine Frau, die keine Kinder will, wie egoistisch, wie faul! Wir sterben aus, blabla. Biologisches Verlangen, das kommt noch.
Aber langsam. Bevor Ihr schreit, lasst mich erklären.
Wer sich dazu entscheidet, ein Kind aufzuziehen hat darüber nachgedacht und verwendet Ressourcen wie die eigene Lebenszeit darauf. Für mein Leben - natürlich kann es immer anders kommen - nehme ich diesen Fall an, dass ich irgendwann einmal die Möglichkeit habe, mich zu entscheiden. Genau dann aber frage ich mich, was denn das Gute wäre. In Anbetracht der Tatsache, dass viele kleine Menschen auf dieser Welt nicht in den Umständen heranwachsen die ich einem Kind wahrscheinlich geben könnte, fände ich es rücksichtslos und egoistisch, diese Schicksale zu ignorieren und die Chance, die Lage eines Kindes deutlich zu verbessern, nicht zu nutzen. Deshalb ist soweit die Adoption für mich die moralisch überlegene Wahl, die menschlichere Option.
Den Vorwurf des unmenschlichen ziehe ich mir dann zu, wenn ich diesen ganzen Gedanken äußere und statt von der Adoption vom Kauf eines Kindes spreche. Für mich eine berechtigte Vokabel, schließlich investiert man - wie oben genannt - Lebenszeit in etwas, was Lebensqualität bringen soll.

Donnerstag, 13. Mai 2010

Maskulinismus

Eigentlich bedarf er keiner Erklärung, der Maskulinismus. Das Wort allein ist alles, was er jemals sein sollte - und das ist mehr, als manche auf den ersten Blick erkennen.
Er ist eine Antwort auf Feminismus jeglicher Couleur. Da im Ursprung doch gleiche Rechte, gleiche Pflichten gefordert werden, macht es keinen Unterschied, von welcher Seite man sich darauf zubewegt. Zumindest sollte es keinen Unterschied geben, wenn wirklich - wie ab und an postuliert - der Feminismus überflüssig geworden ist, weil er alles erreicht hat. Maskulinismus ist also außer einer Antwort auf den Feminismus auch Hohn und sanfte Ironie, denn er erinnert uns daran, dass einige Rechte und Pflichten eines Menschen noch immer vom Zufall des Geschlechts abhängen. Ferner bricht er eine Lanze für das Männliche, in Deutschland wäre das "Wehrpflicht - Unrecht, es sei denn, ihr bestimmt sie für alle oder keinen". Das ist ein Beitrag zur leidigen Geschlechterdebatte, in dem Versuch, das bei so manchem pejorativ besetzte Wort des "Feminismus" zu umschiffen. Aber Maskulinismus ist nicht nur verkappter Ur-feminismus, er ist auch Spott auf die lächerlichen Auswüchse, die der Feminismus zutage bringt - und legt gleichzeitig einen Finger in die Wunde, dass in Geschlechterfragen noch längst nicht alles geklärt ist.

Damit füge ich den gängigen Bedeutungen von Maskulinismus und Maskulismus meine Sichtweise und so eine weitere Bedeutungsebene hinzu. Ich distanziere mich also von Arthur Brittan und konventionellen Überzeugungen hinter dem Begriff. "Mein" Maskulinismus will nicht mehr als leiser Spott, sanfte Ironie und Fingerzeig sein, was passiert wenn man das Pferd von hinten aufzäumt.
Carla Freyhoupt.

Samstag, 28. Februar 2009

Isländer versauen europäischen Bauern die Ernte

Der "Vulkan" - es war mehr eine Spalte, die sich auftat - heißt Laki und machte 1783-1786 eine ganze Menge Ärger.
Über 8 Monate hinweg wurden gewaltige Mengen Lava und Gase ausgestoßen. Wie auch beim Ausbruch des Krakatao erschien die Sonne rostrot durch Partikel in der Atmosphäre. Außerdem bildete sich beim Ausbruch des Laki ab Juni 1783 eine "Wolke" aus Aerosolen, die dann im Uhrzeigersinn über Skandinavien, Osteuropa, durch Mitteleuropa, nach Westeuropa und hoch nach England zog. Diese giftigen Gase wurden von Mensch und Vieh eingeatmet und zerstörten die Lungen von Innen. Das betraf besonders Arbeiter im Freien, die Ernte konnte nicht so eingeholt werden wie das eigentlich geplant war. Saurer Regen trug ebenfalls zur schlechten Ernte bei. Der folgende Winter ist einer der härtesten überhaupt, die Partikel in der Atmosphäre streuen die eingehende Strahlung so weit, dass weniger Energie als sonst auf der Erde ankommt. Der Mississippi friert bei New Orleans zu(!). Durch den vielen Schnee gibt es im Frühjahr große Überschwemmungen, Goethes Mutter beispielsweise schreibt ihrem Sohn einen Brief in dem sie geflutete Keller und teilweise ganze Stockwerke der Häuser beschreibt. In den folgenden Jahren kommt es weiterhin zu Ernteausfällen und einige Spekulationen nennen diese Missernten Ursache für den Hunger, der die französische Revolution ein paar Jahre später begünstigte.
Einige Wissenschaftler der Zeit sind mit dem Verdacht Vulkan der Ursache schon auf der Spur - aber "Strafe Gottes" ist natürlich die beliebteste Erklärung. Allerdings vermuten die Gelehrten Sizilien als Ursprungsort.
Es ist beeindruckend, dass es damals wohl noch keinen Informationsaustausch
mit Island gab. Auch die sonstige Nachrichtenversorgung scheint recht dürftig gewesen zu sein - sonst hätte man in Frankreich schon von "der Wolke" die da heranzog gehört.
Nunja, heutzutage hört man von Island ja auch erst dann etwas, wenn sie kurz vor dem Staatsbankrott stehen.

Soetwas kann uns jederzeit wieder passieren. Geologisch hat sich die Situation in Island und damit die Ursache für diesen Vulkanismus nicht verändert.

Carla Freyhoupt.

Mittwoch, 18. Februar 2009

Guillermo Vargas' Hund

Im Internet empört man sich gern ab und an, und Ausrufe wie "Das ist doch keine Kunst!" sind oft nicht weit.

Kunst der Prozess oder das Produkt des Arrangierens von Elementen, sodass sie den Verstand oder die Gefühle anderer Menschen anspricht. Laut dieser Definition wäre die Grausamkeit gegen den Hund also Kunst. Was muss und was darf Kunst? Das sollte jeder für sich festlegen.
Ich finde, dass Kunst Anregung sein muss. Anregung zum Denken, Anregung zum Handeln. Im Großen wie im Kleinen - ein Stillleben, das bei meinem Großvater hängt, hat mich als Kind sehr fasziniert und dazu angeregt, Obst nicht nur als Nahrung zu betrachten sondern die Formenvielfalt der Natur und meines Essens zu würdigen. Ich esse seit dem mit mehr Lust und Freude weil ich Lebensmittel als Früchte der Natur und der Arbeit meiner Mitmenschen auffasse. Im Großen - meine Lebenseinstellung und die Art, wie ich jeden Tag handle ist stark von der Literatur beeinflusst. Eines der wichtigsten Bücher für meine kindliche Entwicklung war Matthias Sandorf (Jules Verne) das mich über Selbstjustiz und Vergebung nachdenken ließ.

Der Hund wurde in einer öffentlichen Gallerie unbarmherzig gequält, außerhalb seiner Reichweite wurde mit Hundefutter etwas an die Wand geschrieben. Mich hat dieses Kunstwerk sehr traurig gemacht, weil niemand der Besucher den Hund gefüttert, befreit, die Polizei gerufen hätte oder sonst irgendetwas unternommen hat. Anstatt allerdings die Besucher der Gallerie mit zu verurteilen, empören wir uns über den Künstler selbst - er hat übrigens eine Petition gegen sein Tun selbst unterschrieben (behauptet er): Damit beschämt er uns, denn sein Werk hat uns aufmerksam gemacht, uns aufschreien lassen - aber die unmittelbaren Betrachter haben nichts getan. Sind sie alle Einzelfälle? Oder sterben in Nicaragua so viele Hunde auf der Straße, dass es niemandem in den Sinn kommt, einem Hund zu helfen?
Diese Fragen leiten zum Wert eines Hundelebens, zum Wert eines Menschenlebens (jede Minute verhungern etwa 17 Menschen) und, drastisch und überspitzt formuliert, zur Moral einer Internetgesellschaft, die sich über den Tod eines Hundes empört ohne zu fragen, warum er ermordet wurde.

Wer darf das? Wer darf inmitten von (ungewollter? unvermeidbarer?) Ungerechtigkeit, Heuchlerei, gleichgültiger Arroganz und Unbarmherzigkeit bewusst die Wege der Welt nachahmen und uns mit überspitzter Grausamkeit schockieren? Was, außer Hilflosigkeit und Wut, hat heutzutage Chancen, die Menschen anzuregen anders zu handeln? In der Bibel heißt es, wer unter Euch ohne Sünde ist werfe den Ersten Stein. Und wenn einer die Sünde wissentlich, in aller Öffentlichkeit und so drastisch und grausam begeht, dass die Tat allein die größte Anklage ist? Ist der Stein dann trotzdem geworfen? Formal hat er sich in die Reihe der Sündiger eingereiht und nichts anderes getan als sie auch. Aber weil er unser Innerstes berührt und wir gar nicht anders können, als über alle Sünden dieser Art nachzudenken, ist der Stein trotzdem geworfen. Wir Menschen müssen gemeinsam darüber nachdenken, was wir wollen.
Ob wir jedem die völlige Freiheit und damit auch die völlige Verantwortung über sein Leben im Guten wie im Schlechten geben und fordern, dass man mit seinem "Schicksal" selbst fertigwird oder unseren Mitmenschen die Entscheidungsfreiheit nehmen und sie zu Mitgefühl zwingen (Solidaritätszuschlag), darüber können wir selbst Entscheiden.

Wen diese sinnlose Grausamkeit wütend macht, der
studiere Naturwissenschaften und entwickele Bewässerungssysteme, ertragreiche genügsame Nahrungspflanzen/Nutztiere,
engagiere sich politisch und ehrenamtlich für eine fairere Verteilung von Nahrungsmitteln,
mache Nachbarn, Verwandte und Freunde im Gespräch auf Heuchelei aufmerksam,
werde Künstler und rufe andere auf, Verantwortung für unsere Menschenbrüder zu übernehmen.

Über sein Können hinaus ist niemand verpflichtet.

Montag, 9. Februar 2009

Skin Deep Grotesque & Brass Festival

Skin Deep
Wenn man schon beim Betreten des Theaters von einem bekannten Programmverkäufer angesprochen und mit "Hast Du überhaupt eine Vorstellung davon, wie schlecht das hier ist?" begrüßt wird - sollte man sich dann Sorgen machen? Er fügte hinzu, dass in vorherigen Vorstellungen durchaus einige Besucher in der Pause gegangen seien. Weswegen man die Tickets mit den Getränkegutscheinen für die Theaterbar, die erst nach der Vorstellung öffnet, eingeführt hat. Ich gab mir Mühe, unvoreingenommen zu bleiben und sah es mir bis zum Schluss an. Müsste ich diese Erfahrung in einem Wort zusammenfassen und dabei fair bleiben - es wäre grotesk.
Ob der moderne Operettenfreund (Skin Deep wurde vor der Premiere übrigens als Oper gehandelt) wirklich die Zielgruppe dieses Spottes gegen die Einheits- und Gossenblattästhetik ist, sei dahingestellt.

Ich notierte in der Pause:
- viel studentisches Publikum (Free Drinks Voucher)
- geneigte Operngänger angewidert, Programmverkäufer ängstlich
- auf dem Platz neben mir älterer Herr, freundlich und liberal, scheint Enttäuschung mir Akzeptanz des Laufes der Welt zu verbinden

Festival of Brass
University of Leeds, Durham und Warwick haben je eine Musikorganisation, die drei veranstalten seit 6(?) Jahren ein jährliches Gemeinschaftskonzert. Dass der Dirigent der Leeds Brass Band einen goldenen Kummerbund und Schleife trug imponierte mir sehr - wirkt bei anderen Ensembles der Dirigent ab und zu losgelöst, vereinte hier das Glänzen der Instrumente und das des Kummerbunds. Auftakt durch Leeds mit fröhlichen Stücken, dann Warwick mit einer ausgezeichneten Vorstellung - Robert Ramskills Elegy and Toccata rissen mich mit sich, betteten sich sanft in meine Erinnerung und entliessen mich mit einem Hochgefühl in die Pause. Für die zweite Häfte spielten die drei Ensembles zusammen - ich merkte, dass ich leicht ungünstig saß: unter der Ballustrade gerät man bei fast 80 Blechbläsern forte in eine unangenehme raumakustische Situation. Besonderen Eindruck hinterließ das 2. Movement der Caledonian Journey (Alan Fernie): piano, und wahrhaftig eindrucksvoll. Noch nie hatte ich Blechbläser so sanft, so zärtlich und einfühlsam erlebt. Es rief in mir Erinnerungen an die schönste Singstimme, die ich je gehört habe, wach. Moonlight, so der Titel, zeigte sich ganz und gar nicht so kalt und unpersönlich, entrückt-schön wie ich das Mondlicht für gewöhnlich empfinde.
Carla Freyhoupt.

?: Einige Verwirrung darüber, welches Annual Festival of Brass dies war, entstand. Laut Programm das Sechste, allerdings merkte Phillip Ash, Dirigent Durhams an, dass letztes Jahr in Durham das Vierte gegeben wurde. Zwischenrufe aus dem Publikum bestätigten dies.

Mittwoch, 4. Februar 2009

Multiplikation

In der Grundschule fiel mir die Multiplikation schwer. Damals konnte ich nicht beschreiben, was mir daran so komisch vorkam. Anstatt 3 x 7 zu rechnen, versuchte ich es mit 7 + 7 + 7, was mehr Zeit in Anspruch nahm. Erst viel später, Sekundarstufe II, habe ich im Geschichtsunterricht verstanden, warum mir die Multiplikation seltsam vorkam. Rousseau und den allgemeinen Willen verdeutlichte mein (excellenter) Lehrer mit der Multiplikation: 1 x 1 x 1 x 1 x ... x 1 Wille des Einzelnen, ergibt doch immer nur einen Volonté générale. Heute berufen sich die Meisten von uns nicht mehr auf Rousseau, trotz seiner Fehlbarkeit ist der Wille Aller (von meinem Lehrer mit der Addition verglichen) uns (und auch mir) wichtiger als der (nach Rousseau) unfehlbare allgemeine Wille. Dieser Grundsatz wurde mir von einem Satz im Feuilleton der ZEIT (22.01.2009) wieder in Erinnerung gerufen. Christiane Grefe schreibt dort: Beim Musizieren gebe es keine Zauberei, sagte »Celi«, es gebe nur Arbeit. Diese Arbeit bedeutet: aus einer Billion Neins das einzige Ja zu entwickeln.
Rousseau hätte mit boolschen Variablen in diesem Zusammenhang keinen Konflikt gefunden. Ob und wie man gerade in der ganz und gar nicht boolschen Kunst aus einer Billion Neins das einzige Ja entwickelt, hat mich an diesem Satz fasziniert.
Das Wesen eines Musikstückes mag sich auf viele Arten entfalten.
Doch nur eines, das einzige Ja ist der Wille, der sich aus den vielen Stimmen der Instrumente unter Hand und Ohr eines Dirigenten entfaltet.
Dieser Zeitungsartikel hat mir eindrucksvoll gezeigt, dass nicht die eine oder die andere Ansichtsweise anmutiger ist - sondern jede ihre Form sucht. Celibidache hat sie, so interpretiere ich Christiane Grefe, gefunden.


Carla Freyhoupt